Abschrift des Textes der ÖA vom 02. März 1923
Goslar`s Raubpläne
Bürger von Clausthal-Zellerfeld habt acht!
Goslar, die reichste Stadt in glücklichster Lage, mit großem Forstbesitz, der wichtige Eisenbahnknotenpunkt, ein Sammelplatz für viele Kongresse und Tagungen, Goslar, die Einfallspforte zum Harz, die Stadt, der hunderttausende von Fremden ungeheure Einnahmen schaffen, Goslar versucht es, unseren beiden Schwesterstädten das karge Brot des Oberharzes zu rauben: Goslar will unsere Bergakademie, die über 100 Jahre alte alma mater des Oberharzes, an sich reißen! Das heißt, Goslar will uns einer der wichtigsten Unterhaltsquellen berauben! Goslar, die alte stolze Reichsstadt, wagt es, die um ihr Leben ringenden Nachbarstädte Clausthal-Zellerfeld in wirtschaftlichen Verfall zu stoßen! Nur eine rücksichtslose Politik kann solche Vergewaltigung wirtschaftlich schwacher Gemeinwesen gutheißen! Zwischen deutschen Städten hat man solch eine Politik bisher nicht getrieben! Nennt man das Einheitsfront? Wir können es nie billigen, dass in dieser Zeit äußerster Not Zwietracht zwischen zwei ungleichen Städten gesät wird!
Bürger von Clausthal-Zellerfeld wahrt Eure Interessen!
Was Goslar vorhat!
Alle in Clausthal wußten schon längst, was unsere Nachbarstadt für
Pläne hegt, Pläne, die wohl der Stadt Goslar zu materiellem Nutzen
gereichen, die aber den wirtschaftlichen Tod für den Oberharz, insbesondere
den der beiden Schwesterstädte Clausthal-Zellerfeld bedeuten:
Goslar will unsere Bergakademie rauben!
Was veranlasst Goslar zu diesem Plane? Nichts als Eigennutz! Der Stadt Goslar
geht es gut, sie hat gute Einnahmen aus dem Fremdenverkehr, sie hat eine ertragreiche
Industrie, und die Stadt Goslar steht namentlich durch ihren Forstbesitz finanziell
so glänzend, dass sie nicht andere um ihre fast einzige Brotquelle zu bringen
braucht. Ehrgeiz ist gut, aber wo er soweit geht, dass die Nachbarschaft wirtschaftlich
ruiniert wird, da hört das Gute auf, da wird Ehrgeiz zum Faustrecht des
Starken.
Clausthal genießt nicht die glänzenden Verkehrsverhältnisse
Goslars, aber das gibt doch Goslar keinerlei Recht dazu, nun allerwärts
Vorzüge anderer Städte zusammenzuheimsen.
Goslar ist heute voller Versprechungen, ohne sich vielleicht bewußt zu
sein, was es alles verspricht und was für Verpflichtungen auf sich nimmt.
Goslar will erstens dem Staate die Baukosten ersparen, es will ferner für
alle erforderlich werdenden Wohnungen Sorge tragen und außerdem hat es
sich die Zustimmung der Studentenverbindungen sowie die der Professorenschaft
mit dem Versprechen erkaufen müssen, dass es den Grund- und Hausbesitz,
den die Studentenschaft bzw. die einzelnen Professoren hier in Clausthal-Zellerfeld
haben, übernimmt und in Goslar vollen Ersatz dafür leistet. Ein kostspieliges
Versprechen! Ob die Einwohnerschaft von Goslar mit diesen Plänen einverstanden
ist, auch wenn sie sich die Folgen betrachtet?
Für uns, die gesamte Einwohnerschaft von Clausthal-Zellerfeld, handelt
es sich darum, - den Plan auf jeden Fall zu vereiteln. Alle wirtschaftlichen
Vereinigungen müssen zusammenstehen für das eine Ziel, dass
Clausthal-Zellerfeld seine Bergakademie behält!
Der Goslarsche Oberbürgermeister Klinge hat diesen seinen sauberen Plan
am Mittwoch den Vertretern von Handel, Industrie usw. unterbreitet. Dabei hat
er getan, als ob er und die Stadt Goslar die Akademie bereits in der Tasche
hätten. Er führte in der Verteidigung dieses Planes aus:
Vor etwa 14 Tagen, 3 Tage vor Beginn der Beratungen des Haushaltsplanes für
das Handelsministerium im Hauptausschuß des Preußischen Landtages,
haben die ersten Verhandlungen der Stadt Goslar mit den zuständigen preußischen
Ministern stattgefunden.
Der Handelsminister sagte wohlwollende Prüfung der Frage zu, verhielt sich
aber im Übrigen ablehnend, weil er glaubte, dass durch die Tradition die
Verbindung der Bergakademie mit der Stadt Clausthal eine sehr enge wäre
und dass außerdem die Finanzen des preußischen Staates zurzeit nicht
ausreichten, um einen so gründlichen Wandel zu schaffen.
Der Finanzminister war dagegen der Ansicht, dass man die Frage einer Prüfung
unterziehen müsse, und das Ergebnis davon abhänge, welche Leistungen
Goslar erbringe. Der Oberbürgermeister fuhr dann fort: Die Bergakademie
in Clausthal ist überlebt und kann sich auf die Dauer nicht mehr halten.
(Nichts als hohle Schlagwörter) Für Goslar ist der wichtigste Punkt
die Geldfrage. (Allerdings für den Goslarschen Stadtsäckel) Hier ist
wirklich einmal die Gelegenheit gegeben, dfas Pfund, mit dem wir wuchern, einzusetzen.
In der Verlegung der Akademie nach hier sehe ich einen Wendepunkt in der Geschichte
Goslars. (Also nur Goslar ist maßgeblich, nur sein Vorteil soll entscheidend
sein!) Ganz abgesehen davon, dass wir zunächst ein außerordentliches
Aufblühen des wirtschaftlichen Lebens in Goslar sehen werden (Also nichts
als ein Geschäft!), glaube ich fest, dass die Akademie, die in Clausthal
ein traumverlorenes Leben führt (Wir wissen nur, dass bisher, solange die
Akademie hier war, eifrig geschafft und gestrebt worden ist, unabhängig
von den äußeren Verhältnissen der Stadt!), nicht nur in Preußen,
sondern im ganzen Reiche und weil darüber hinaus stark an Bedeutung gewinnen
würde. Die Anziehungskraft Goslars würde noch ganz erheblich gesteigert
werden (Darauf allein kommt es den Goslarern an!), wenn unsere Stadt auf die
Dauer den Mittelpunkt bildete, für eine ausschlaggebende Klasse der Bevölkerung.
In der Aussprache, die sich an den Vortrag von Oberbürgermeister Klinge
anknüpfte, führte Fabikbesitzer Dr. Borchers u. a. aus: Es sei ein
wahres Unglück, dass die Akademie in Clausthal so hinter dem Monde liege.
Eine weitsichtige Regierung könne gar nicht anders, als einer Verlegung
der Clausthaler Bergakademie nach Goslar zuzustimmen. (Ein gerechtes Regiment
wird das nie und nimmer tun!) Die Stadt Goslar müsse alle Mittel aufs Äußerste
anspannen, um den Plan zur Durchführung zu bringen. Für Clausthal
müsse ein geeigneter Ersatz geschafft werden. (Darüber macht man sich
in Goslar kein Kopfzerbrechen!) Professor Kassebauni sagte u. a. : Die Sorgen
Clausthals wollen wir uns zu eigen machen; aber da wir Arbeit um den Staat leisten,
können wir das Schicksal Clausthals vielleicht bedauern, aber aufhalten
können wir es nicht. Fabrikant Bruer betonte in seinen Darlegungen: Man
müsse bestrebt sein, der Stadt Clausthal nach Möglichkeit zu helfen.
Arbeitervertreter Sander hob in seinen Darlegungen hervor, dass man sich in
Goslar lieber die Unterbringung der vielen obdachlosen Familien angelegen sein
lassen solle, als die Akademie herunterzubekommen. (Das ist sicher eine dankbarere
Aufgabe, als anderen das karge Brot wegzustehlen!)
Nach dieser Aussprache ging Oberbürgermeister Klinge auf die einzelnen
Bedenken und Hinweise ein. Zu der
Wohnungsfrage
(in Frage kommen etwa 1000 Studentenwohnungen und große Wohnungen für
etwa 50 Familien) sagte er: Ich mache mich anheischig, die Studenten in kürzester
Frist unterzubringen. (Über das „Wie“ schweigt man sich ehrfurchtsvoll
aus!)
Die Denkschrift des Goslarer Magistrats
Der Magistrat Goslars hat eine Denkschrift über seinen Plan verfasst, die
an die Abgeordneten des Landtages und an alle anderen Personen gerichtet ist,
die die Sache angeht oder die sie begünstigen könnten. In dieser Denkschrift
versucht der Magistrat nachzuweisen, dass Goslar heute ein größeres
Recht auf die akademie habe als Clausthal. Als wichtigster Anhaltepunkt muß
dabei die Abgelegenheit Clausthals herhalten. Es wird betont, dass Clausthal
dem Zentrum des Harzer und Vorharzer Bergbaus viel abgelegener sei als Goslar.
Ferner blüht angeblich in Goslar, ein viel üppigeres, geistiges Leben,
als in Clausthal (Was wir uns sehr anzuzweifeln gestatten); kurzum, die Akademie
liegt jetzt, wie ein Goslarer in lokalpatriotischer Begeisterung sagte, und
was natürlich ganz Goslar auch sofort als „Tatsache“ hinnimmt,
„in Clausthal hinter dem Monde“.
Im Anschluß hieran leistet sich die Denkschrift eine neue unverfrorene
Dreistigkeit, aus der man ersehen kann, mit welchen Mitteln Goslar diesen „ganz
uneigennützigen Plan“ zu rechtfertigen sucht: Wir bitten, nicht einwenden
zu wollen, (dies soll der Sache vielleicht einen Anstrich von Ehrlichkeit geben!)
daß die Verlegung der Bergakademie nach Goslar das Leben der Stadt Clausthal
ausschlaggebend beeinflussen würde. Man muß doch bedenken, dass bis
zum Kriege die Bergakademie Clausthal mit ihren 150 Studenten für die Stadt
selbst und ihre Bewohner eine untergeordnete Rolle spielte. Daß Clausthal
durchaus nicht das Gepräge einer Universitätsstadt bot, wie es andere
kleine Universitätsstädte durch ihr studentisches Leben aufweisen,
steht außer Zweifel. Wenn überhaupt, so fand Clausthal seine Bedeutung
darin, dass in ihm der Sitz des Oberbergamts ist, das allein durch seine zahlreichen
Beamten und Angestellten im Gegensatz zu der Bergakademie der Stadt die Möglichkeit
bietet, höhere Schulen zu haben und zu halten. Die jetzige, nach dem Kriege
immer mehr angewachsene Zahl der Studenten dürfte schon mit Rücksicht
auf die Wohnungsnot und die ernährungswirtschaftliche Lage der Stadt eine
nicht zu unterschätzende Last für die Einwohnerschaft sein, was ja
auch wiederholt äußerlich zum Ausdruck gekommen ist, ganz abgesehen
davon, dass auch die Studentenschaft infolge der wohnlichen Unterbringung in
ihrem Studium nicht unbeträchtlichen Schaden leidet.
Oberbürgermeister Klinge wird also wahrscheinlich jedem Studenten eine
eigene Villa zur Verfügung stellen, denn in Goslar ist die Wohnungsnot
viel größer als bei uns in Clausthal-Zellerfeld; die Studenten würden
alle viel schwerer genügende Wohnungen finden, abgesehen davon, dass die
Wohnungen in Goslar beträchtlich teurer sein werden als in Clausthal. Aber
die Sache sieht anders aus. Oberbürgermeister Klinge hat nämlich an
anderer Stelle betont, „dass man erstaunt ist, wie bescheiden die Studenten
heute sind. Der Studiker von heute ist zufrieden, wenn er ein Zimmer mit Bett
und Tisch hat“. Man scheint also doch sehr stark auf die Bescheidenheit
der Studenten zu spekulieren!
Daß auch Oberbürgermeister Klinge noch eine Spur von Gerechtigkeitssinn
hat, zeigt er auch in seiner Denkschrift zu dem Plane; denn dort ist sogar von
einem „Ersatz“ die Rede, den man der Stadt Clausthal gewähren
müsse. Wahrlich ein feiner
Ersatz für Clausthal!
Wir hören was die Denkschrift hierüber sagt:
Wir verkennen nicht, dass die Verlegung der Bergakademie von Clausthal nach
Goslar unter Umständen veranlassen könnte und müsste –
wir halten das durchaus für recht und billig -- , der Stadt Clausthal einen
Ersatz zu geben (O, wie großmütig!) der einerseits für Clausthal
geeignet ist, andererseits nach seiner Eigenart in die dortigen Verhältnisse
paßt. Wir denken daran, dass die leer werdenden Gebäude (bis jetzt
kann von einem Leerwerden gar nicht gesprochen werden; aber Goslar ist ja allein
schon bei dem Plane ganz in Verzückung geraten!) soweit sie überhaupt
Verwendungsmöglichkeiten geben, insbesondere also das Hauptgebäude
und die Wohnhäuser, gerade in der jetzigen Zeit die willkommene Gelegenheit
bieten, in ihnen für Beamte, Angestellte und Arbeiter des Staates und gegebenenfalls
der Industrie, vor allem des auf Jahre hinaus schwer geprüften rheinischen
und westfälischen Bergbaugebietes „Erholungsstätten“ zu
schaffen – Als weitere Möglichkeit würden zu prüfen sein,
ob nicht dort ein Forschungsinstitut der Kaiser Wilhelm Akademie untergebracht
werden oder eine Gebirgsmaschinengewehrabteilung einen Standort finden könnte.
Also, die Stadt Goslar gedenkt uns für die Akademie, die in den Geschäften
unserer beiden Schwesterstädte einen ungefähren Gesamtumsatz von monatlich
etwa 50 bis 60 Millionen brachte, bestenfalls eine Art Genesungsheim zu überlassen
oder vermitteln, das vorläufig jedoch noch weiter hinter dem Monde liegt,
als die Bergakademie in Clausthal! Die Herren der Kaiser Wilhelm Akademie sollen
also in Clausthal untergebracht werden, während man andererseits davon
spricht, dass ein verwandtes Institut die Bergakademie „in Clausthal überlebt
ist“.